Berge


Johannes auf der Lake

FERNE GIPFEL UND NAHE SEHNSUCHT

Für die Vitrinen im Bilker Bahnhof hat die Düsseldorfer Künstlerin Julia Kernbach zwei Arbeiten entwickelt, die ein bedeutendes Sujet künstlerischer Landschaftdarstellung aufgreifen: die Auseinandersetzung mit markanten Gebirgszügen und dominanten Felsmassiven, mit der uns musterhaft die paradoxe Gleichzeitigkeit von Ferne und Nähe vor Augen geführt werden kann.
Berge, ob als prägnante und bekannte Einzelform,wie etwa das alpine Matterhorn, oder auch als interessante aber weitgehend unbekannte Gebirgsformation, wie zum Beispiel der Karakorum, spielen im kulturellen Gedächtnis seit jeher eine dominante Rolle. Nicht nur weil sie den Horizont des menschlichen Blicks, seinen Gesichtskreis, faktisch begrenzen, sondern damit gleichzeitig die Neugierde wecken, die den menschlichen Geist antreibt, offensichtliche Grenzen zu überwinden und hinter die Dinge zu blicken.
Natürlich wurden Berge auch immer als Orte numinoser Mächte erfaßt und gesehen. Ihre sowohl stattlichen wie erhabenen Formen zwischen den bekannten Niederungen der Erde und den hoffnungsvoll unbekannten himmlischen Höhen qualifizierte sie gleichsam konkret und faßbar als Orte hervorragender Ereignisse und unfaßbar höchster Mächte. Die Geschichte der abendländischen
Menschheit beginnt ja gewissermaßen auf einem Berggipfel: demjenigen, auf dem die Arche Noahs aufsetzte. Moses empfing die göttlichen Zehn Gebote auf dem Berg Sinai und die höchste Instanz der griechischen Mythologie, Göttervater Zeus, regierte auf dem Olymp. Auch die Wende vom europäischem Mittelalter zur Neuzeit läßt sich an einer Bergerfahrung festmachen: der Erstbesteigung des Mont Ventoux durch Francesco Petrarca.Und die ´nur´ kompositorisch sinnvolle Zusammenstellung farbiger Flächen zu eigenständig spannungsvollen Arrangements hat Paul Cézanne in zahlreichen Bildvarianten des Mont Sainte Victoire vorgeführt. Diesen Weg der eigenständigen Befragung des archaisch-klassischen Bergmotivs geht Julia Kernbach souverän weiter. Mit konzentrierter Strenge sucht und bestimmt sie in Eigenaufnahmen und fremden Photovorlagen die Bildausschnitte und Detailformationen, die es ihr erlauben einen neuen Blick auf die Sujetsituation zu werfen. Offensichtlichkeiten werden eigenständig umarrangiert, Unübersichtlichkeiten neu gewichtet und erwünschte Voraussichtlichkeiten wie selbstverständlich passend eingebaut. Mit eigens gesetzten fremden Fluchtpunkten bietet sie dem Betrachter die optischen Fragestellungen an, die ihm die Erfahrung neuer Aussichtspunkte ermöglichen und nahelegen.
Ganz im Sinne der Erkenntnis des persischen Mystikers Dschalal ad Din Rumi:
´Die Welt ist ein Berg, und alles, was man je von ihr zurückbekommt, ist der
Widerhall der eigenen Stimme´.